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Vom Jugendtraum Koch kann bei Thomas Haus keine Rede sein. „Was soll ich werden? Koch ... warum nicht?“ Kurz und knapp fiel die Entscheidung nach der Schulzeit und mit etwas Vitamin B wurde der gebürtige Lämmerspieler im Landhaus Waitz tatsächlich der erste Lehrling aus dem Ort, wo zuvor doch nur überregionale Nachwuchskräfte eingestellt wurden. Angesichts von 10 Konkurrenten um den Platz an der Sonne ließ sich der junge Thomas nicht lange bitten, durfte schon im 2. Lehrjahr als Chef Entremétier arbeiten, im 3. dann als Saucier, was sonst keinem Lehrling erlaubt war. Nach erfolgreichem Abschluss der Lehre folgte zunächst mobiler (Zivil)Dienst, allerdings nicht Essen auf Rädern, was ja irgendwie schön gepasst hätte, sondern „Einkaufen für die Omis“. Dann entführte ihn die Liebe ins Badische, genauer: Nach Oberkirch in einen sauberen, soliden, aber durchschnittlichen Gastronomiebetrieb, sechs Monate später war dann hier wie dort Schluss und es ging nach Johannesberg zu Friedel Meier in Meiers Restaurant im Hotel Sonne, zu dieser Zeit mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet und für Thomas Haus der richtige Einstieg in eine neue Küchenliga. Nach einem Jahr kursierten unter Kollegen Gerüchte, die Arbeit auf einem Kreuzfahrtschiff wäre das allergrößte überhaupt. „Alle haben davon erzählt, sich beworben, doch ich war der einzige, der dann tatsächlich in See gestochen ist.“ Und das auf keinem geringeren Ozeanriesen als der MS Europa.
Einmal um die ganze Welt
Mit 24 Jahren bestieg Haus also in Panama das Schiff – „ein Klima wie in einer Dampfsauna, unglaublich“ – ,dann ging es nach Nordamerika, in Richtung Nordpol, nach Russland und schließlich stand das ultimative Erlebnis an: Von Genua nach Genua, einmal um die ganze Welt inklusive Kap Hoorn und allem, was dazu gehört. Da würde man tatsächlich annehmen, dass die Küche an Bord die unterschiedlichen Länder und ihre Speisen reflektiert, doch weit gefehlt: Auf der MS Europa hieß es „man kocht Deutsch und Französisch“ und das in klassischer Manier mit Gerichten, die heute Gefahr laufen, in Vergessenheit zu geraten. Aus dieser Zeit hat Haus seine Liebe zu traditionellen Rezepten mitgebracht (die er bald in einem eigenen Kochkurs in der Genussakademie Frankfurt aufleben lassen wird, aber dazu mehr in einer der nächsten Ausgaben), doch jeder Landgang, jede Kultur hinterließ beim jungen Koch seine Spuren, Eindrücke, Ideen und vor allem ein sinnlich geprägtes Bild vom Leben als Kochkünstler. „Heute planen junge Leute ihre Karriere in der Gastronomie, rackern wie verrückt und nehmen sich keine Zeit mehr, einfach mal rauszugehen und nachzuschauen, was denn die Kollegen machen, zu verreisen und zu erleben, was los ist in der Welt. Wenn man so im eigenen Saft schmort, geht schnell der Spaß flöten, aber das ist doch das Wichtigste überhaupt: den Spaß am Kochen zu behalten!“
Von Süd nach Nord
Nach der Tour um den Planeten bemerkte Haus nicht nur an den Kollegen, sondern auch an sich die typischen Symptome eines Menschen, der nach einiger Zeit auf See beginnt, merkwürdig zu werden. „Deine Wäsche wird gewaschen, Du musst nicht einkaufen, dich um nichts kümmern – das macht dich auf Dauer wirklich komisch“. Also ging er von Bord und zunächst nach Spanien, wo er etwa sechs Wochen in einer Tauchschule eines Freundes aushalf, um etwas Abstand zum Job zu bekommen. Dann ging es wieder nach Unterfranken ins Aschaffenburger Gasthaus Fegerer, wo man auch heute noch solide Regionalküche zubereitet. Hier bekam Haus wieder festen Boden unter die Füße und nach kurzer Zeit kam der richtige Wink über Holger Dankenbring, einen Freund, den er auf dem Schiff kennen gelernt hatte – das Restaurant Cox in Hamburg suchte einen Koch. „Hier habe ich gelernt, das Kochen nicht nur als Job zu verstehen, sondern Kochen zu leben. Wir haben ganze Tiere gekauft und komplett verarbeitet, Wildschweine, Lämmer, Ziegen, wir haben Blutwurst und Käse selbst gemacht, Kräuter gesammelt“. Das war 1995 in Verbindung mit dem ungewöhnlichen Kochstil des Cox-Teams eine absolute Novität, die schnell internationale Stars und Politiker wie Steffi Graf oder Joschka Fischer anzog, aber auch Kollegen aus dem ganzen Land, die selbst erleben wollten, was hier vor sich ging. Das Cox war cool, der Spaß am Kochen groß, Thomas Haus nach vier Jahren Küchenchef und mittendrin. Sieben Jahre vergingen insgesamt wie im Flug, doch als schließlich Frau Haus mit der zweiten Tochter schwanger war, rief wieder das Rhein-Main-Gebiet, denn hier wollte die Familie einmal „ankommen“. Die Entscheidung war nicht einfach, denn Haus hätte den Herd des Cox als Teilhaber übernehmen können, doch der Vater lag im Sterben und die Kisten in Richtung Frankfurt wurden gepackt.
Ankunft in der Mainmetropole
Nach einigen kleinen Stationen war es das Engagement im Biancalani, mit dem sich Haus innerhalb von kurzer Zeit in die Herzen der Frankfurter kochte – ohne ihn wäre der heutige Stellenwert des Szenerestaurant kaum denkbar. Nach zwei Jahren kam Haus dann zu Ohren, dass Ardi Goldman für sein Restaurant im Hotel 25 hours einen Küchenchef suchte. „Es haben sich viele beworben, doch als Ardi hörte, dass ich vorher im Cox gearbeitet habe, war für ihn schon nach 10 Minuten klar, dass ich sein Mann bin – das Cox war sein Lieblingsrestaurant in Hamburg!“ Doch Haus musste erstmal überlegen, denn Goldman passte mit quietschbuntem Anzug und Cowboystiefeln nicht so recht in das Bild eines seriösen Restaurantbetreibers, wie es Thomas Haus vor Augen hatte. Doch nach dem zweiten Gespräch war alles klar und Thomas Haus Küchenchef im Goldman. Vor zwei Jahren kaufte er schließlich das Restaurant, lebt nun in Frankfurt seinen Traum, sein „eigenes Cox“ und kocht international inspirierte Hochküche zu Preisen, die nicht nur bei genauer Kenntnis des Frankfurter Preisgefüges ausgesprochen günstig erscheinen. Das bunte, völlig entspannte Ambiente tut sein übriges, insbesondere bei einer jungen Klientel Hemmungen abzubauen und die neue Terrasse versetzt den Gast beinahe nach Paris, so authentisch wirkt sie bei hochgezogenen Fensterscheiben. Bei den Gerichten steht hier das Produkt absolut im Vordergrund, doch Haus geht es nicht etwa nur um Frische, denn die ist in dieser Restaurantkategorie sowieso selbstverständlich, sondern auch um das, was eine Zutat, eine Fleischsorte, ein Gemüse oder ein Kraut mitbringen. Vom typischen, fütterungsbedingten Aroma des Fleisches einer Schweinerasse bis zum ätherischen Öl eines Kräutleins, das nur durch schonende, behutsame Aufzucht entsteht und durch ebensolche Verarbeitung erhalten bleibt, überlässt Haus in seiner kleinen, offen einsehbaren Küche nichts dem Zufall. Gleich vier Jäger gehen für ihn auf die Pirsch, er kennt beinahe jeden seiner Lieferanten persönlich – wie auch Doris Krämer.
Oberräder Urgestein
„Feingemüsebau könnte man sagen“ antwortet die fröhliche Dame auf die Frage, was denn nun ihr Handwerk sei. In einem völlig heimlichen Winkel am Rande des Frankfurter Stadtwaldes unmittelbar in der Nähe zur Offenbacher Stadtgrenze stehen ein paar Gewächshäuser neben offenen Feldern, auf denen neben Salbei, Thymian und vielen weiteren Kräutern auch ungewöhnliche Salatvarianten gedeihen. „Wir waren die ersten, die mal was anderes als Kopfsalat gepflanzt haben. Zwei Jahre lang waren wir damit allein sehr erfolgreich, dann sind die anderen natürlich nachgezogen“, erläutert Doris Krämer vor einem Beet mit Pak Choi und rötlichem Senfsalat, dessen Blätter tatsächlich intensiv nach Senf schmecken und Thomas Haus ein Leuchten in die Augen treiben. Familie Krämer gehört zum Urgestein der Oberräder Gärtnereibetriebe und bepflanzt bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts Felder, die der ein- oder andere umtriebige Investor in seinen Träumen bereits mit Häusern bebaut sehen mag, aber da wird wohl nichts draus – die Frankfurter werden nämlich so schnell nicht auf ihre Grüne Soße verzichten wollen. Die kommt hauptsächlich aus Oberrad und bildet auch für Familie Krämer das wirtschaftliche Rückgrat. „Kurz vor Ostern stehen hier allein sechs Mitarbeiter bereit und verpacken ausschließlich Grüne Soße. Wir ernten definitiv jeden Tag und was in der Packung landet, stand ein paar Stunden zuvor noch auf dem Feld“. Doch das Geschäft mit der frischen Ware ist auch für Doris Krämer nicht sicher kalkulierbar: „Ein Hagelschauer und die Salate sind hin.“ Mit solchen Unwägbarkeiten lebt man hier schon lange, Flexibilität ist im Familienbetrieb selbstverständlich. So holt sich Thomas Haus seine gerade erst gezupften Kräuter, frisch gepflückten grünen Mitsuna oder Portulak direkt vor Ort ab, denn die sensible Ware gibt es hier nur direkt aus der Hand der Krämers. „Wir verkaufen eigentlich fast ausschließlich an den Handel, aber wenn einer vorbei kommt und was haben will, dann bekommt er es natürlich auch“. Haus steckt sich unterdessen einen Büschel Kerbel in den Mund, lächelt verzückt und reicht mir ebenfalls etwas davon rüber. In der Dschungelatmosphäre eines offenen Gewächshauses fühlen sich die empfindlichen Pflänzchen sichtlich wohl – das Aroma ist intensiv, noch eine Viertelstunde später hallt die Kerbelnote nach.
Kreativ in Wald und Flur
Mit solchen Produkten kocht Haus am liebsten, denn sie bringen seine Kreativität auf Touren. „Beim Spaziergang durch den Wald oder über die Felder kommen mir sofort Ideen. Ich sehe eine Pflanze und denke unwillkürlich darüber nach, ob man die Essen kann und wie ich sie wohl in einem Gericht verwenden könnte.“ Hier verbindet den Küchenchef vieles mit Mathias Schmidt, der in der Villa Merton strikt auf regionale Produkte setzt, doch so eng möchte Thomas Haus seine kulinarische Welt nicht fassen. Er verarbeitet sowohl heimisches Reh als auch Tunfisch, Krustentiere oder Simmenthaler Rind – alles natürlich aus gesicherter Herkunft und nachhaltiger Erzeugung. Und wo geht die Reise mit dem eigenen Restaurant hin? „Wir wollen hier nicht die Besten sein, sondern einfach kochen, so gut es geht“, sagt Haus in Richtung seines kleinen, jungen Teams. Und das glaubt man nicht nur im Rahmen eines Dinners oder Mittagessens im Goldman aufs Wort, sondern auch, wenn man dem Team bei der Arbeit zusieht. Präzision trifft Leidenschaft, gewürzt mit einer gehörigen Prise harter Arbeit, so lässt sich das Leben in der Küche von Thomas Haus vielleicht beschreiben.
Ein Buch, ein Buch!
Einen Jugendtraum hat der Küchenchef immer noch auf Halde: Er will seit Jahrzehnten ein Buch schreiben und vor 10 Jahren sprach ihn ein Journalist auf das Projekt an – fast wäre es schon soweit gewesen, aber dann ... siehe oben. Das Buch, falls es denn je erscheinen wird (und da bin ich ziemlich sicher), wird es im Grunde eine kulinarische Charakterstudie von Thomas Haus sein, denn es soll die enorme Spannweite zwischen „historischen Rezepten und Garfield“ zum Thema haben – also in etwa Boeuf Stroganoff und Lasagne. „Früher ging es beim Essen nicht um Schäumchen und Texturen, sondern um pure Freude am Genuss. Da standen Töpfe und Schüsseln auf dem Tisch und jeder konnte einfach zulangen. So entstand Tag für Tag spontane Kommunikation, die heute vielen fehlt, wenn sie einsam über ihren Tellern sitzen.“ Dass Haus keine Berührungsängste mit der sogenannten einfachen Küche hat, sieht man schon auf seiner Speisekarte, doch einfach bedeutet hier nicht simpel, sondern eben höchsten Genuss, den man unmittelbar verstehen und genießen kann. Gerade ruft jemand an, kurzes Gespräch, kleiner Verweis, Ende. „Ich habe zwei Töchter, 5 und 9 Jahre alt. Sie können ruhig schreiben, dass die ganz schön frech sind“. Ach, von wem haben die das bloß? Ja, Thomas Haus ist im Goldman angekommen – wie schön für Frankfurt!