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Doch was so einfach klingt – Einkauf beim Erzeuger in der Nähe, Verwendung heimischer Produkte, Wiederentdeckung oder Neuinterpretation althergebrachter Rezepte – stellt sich in der Praxis als ausgesprochen individuell und flexibel gehandhabtes Thema heraus. Der eine findet es schon ganz doll regional, wenn er seine „Sättigungsbeilagen“ in der Wetterau bezieht, ein anderer kauft das Wild nicht beim Großhändler, sondern direkt vom Förster und der dritte setzt ganz auf Bio, kocht aber Asian-Fusion-Style und wähnt sich dabei immer noch irgendwie mit einem Fuß daheim.
Darin sieht Mathias Schmidt, auf Platz eins bei FRANKFURT GEHT AUS! 2012 geführter und mit einem Michelin-Stern, zwei Punkten im Feinschmecker und 16 Punkten im Gault Millau ausgezeichneter Küchenchef in der Frankfurter Villa Merton auch keinesfalls etwas Schlechtes. Immerhin kreiste er selbst länger um das Thema, bevor er sich nun allerdings mit einer Konsequenz der Sache verschrieb, die nicht nur im Rhein-Main-Gebiet ihresgleichen sucht. Und das in einem Alter, in dem manch anderer noch nicht mal imstande ist, den Stil seines Lehrmeisters oder Idols angemessen zu imitieren – Mathias Schmidt zählt gerade mal 30 Lenze. Da drängt sich schnell das Bild vom Genie auf, das schon mit fünf der Großmutter den Kochlöffel aus der Hand nahm, um ihrer Kartoffelsuppe den letzten Schliff zu verpassen. Doch Schmidt nennt einen viel profaneren Grund für seine Berufswahl: „Da standen die Chancen gut, nach der Ausbildung auch einen Job zu bekommen“. Nicht mal ein Spiegelei hatte er bis dahin in die Pfanne gehauen, doch ein spannendes Berufspraktikum am Ende der Schulzeit reichte aus, um den jungen Matthias auf die aus heutiger Sicht richtige Bahn zu bringen. Bereits während seiner Lehrjahre in der Kantine des Hessischen Rundfunks hörte er Kollegen von „Amuse Bouches“ schwärmen, bis dahin nie gehörte Wörter verwenden, die er schnell in Richtung Haute Cuisine verortete. So wurde er neugierig, bewarb sich nach seinem Abschluss mutig bei Restaurants, die mindestens 16 Punkte im Gault Millau vorzuweisen hatten – und landete prompt bei Hans Horberth in der Villa Merton, den man heute getrost als seinen wichtigsten Mentor bezeichnen darf. Der heute im Kölner Restaurant „La Vision“ tätige, ungemein feinsinnige und kreative Kochkünstler erkannte früh, was in diesem zurückhaltenden, aber ungemein wissbegierigen Talent steckt und forderte ihn hart, was Schmidt jedoch mit Beharrlichkeit konterte: „Er wollte mich bestimmt mehr als ein Mal feuern, aber ich bin hartnäckig geblieben und habe mich so allmählich nach oben gearbeitet“.
Doch die Tätigkeit im Rahmen des Frankfurter Union-Clubs ist nun mal nicht mit dem Stress und Trubel einer Zwei-Sterne-Küche inmitten eines beliebten Urlauber- und Szenetreffs zu vergleichen – Schmidt wollte auch diese Welt kennen lernen und ging zu Johannes King nach Sylt. „Fast immer begann hier die Arbeit um 8 Uhr morgens und wir konnten froh sein, wenn alles bis 19 Uhr vorbereitet war“, erinnert sich Schmidt an eine Zeit, während der er die ganze Härte seines Berufes kennenlernte. Hier arbeitete er sowohl als Saucier als auch als Poissonnier – natürlich quasi gleichzeitig, und 20 gekochte Hummer sowie vier komplett ausgelöste Lammrücken gehörten zum täglichen Geschäft. Es war jedoch nicht die Mühe, die ihn schließlich wieder gen Süden trieb, sondern Sehnsucht nach dem Leben in der Stadt. „Sylt war auf Dauer nichts für mich“, also verfeinerte der nun gestählte Jungkoch bei Martin Öchsle im Stuttgarter Restaurant Speisenmeisterei seinen Stil. „Hier bekam ich den entscheidenden Feinschliff und lernte zudem, den Wert absoluter Ordnung in Küche und Lager wirklich zu schätzen“. Schließlich schloss sich der Kreis, denn Hans Horberth brauchte einen fähigen Souschef, holte Schmidt zurück an den Main, um den Herd bereits drei Monate später zu räumen und seinen neuen Posten in Köln anzutreten. Schmidt blieb – und wurde neuer Küchenchef der Villa Merton.
Was romantisch klingt, war knallharte Arbeit und vermutlich der wichtigste Abschnitt in der Karriere des jungen Kochs, denn jetzt ging es darum, selbstverständlich die Spuren seines Vorgängers zu respektieren, aber diese dennoch schnell zu verwischen und den eigenen Stil ins Bewusstsein der Gäste zu rücken. Doch wie konnte der aussehen? Die Menüs dieser Zeit waren geprägt von Übergängen, denn auch die Kochkultur seiner aus Tunesien stammenden Ehefrau mit ihren präsenten Gewürzmischungen beeinflusste die Rezeptideen des jungen Küchenchefs. Der große Wurf war irgendwie spürbar, sollte jedoch erst nach längeren Gesprächen mit seinen „Chef“ Klaus-Peter Kofler Form annehmen. „Er sagte mir, wenn Du Erfolg haben willst, dann musst Du was ganz eigenes machen. Aus fünf anonym servierten Tellern muss man deinen sofort herausschmecken“. Kofler war es auch, der Schmidt zu Reisen in Richtung Skandinavien motivierte, um den Puls der gastronomischen Trends hautnah zu erfühlen. Hier war es der derzeit als bester Koch der Welt geführte René Redzepi, der Schmidt den entscheidenden Inspirationsschub versetzte. „Wenn alle mit den Zutaten ihrer Heimatregion kochen würden, entstünden viel mehr eigenständige, regionale Küchenstile“ – ein Satz, der nicht etwa von Retzepi, sondern von Slow Food stammt, einer Vereinigung, deren Ideen sich Schmidt ebenfalls verpflichtet fühlt. Und so ahmt er jetzt nicht etwa banal den Stil des skandinavischen Ausnahmekochs nach, sondern setzt vielmehr auf die Chance, durch strikten Bezug auf die Produkte seiner Region eine völlig eigene kulinarische Handschrift zu entwickeln.
Was das bei konsequenter Umsetzung tatsächlich bedeutet, hat sich Schmidt allerdings so auch nicht ausmalen können. Schokolade? Wächst hier nicht, gibt es also nicht. Weihnachtsgebäck ohne Zimt? Anfangs eine schwere Aufgabe, heute kein Problem mehr: „Natürlich wollen wir auch vertraute Aromen imitieren, doch wir verwenden tatsächlich ausschließlich Gewürze, Kräuter und Produkte, die quasi vor der Haustür wachsen – und da wächst kein Zimt, also verwenden wir ihn auch nicht, selbst wenn manche ihn zu schmecken glauben.“ Schwer zu beschaffende Produkte wie etwa seltene Kräuter, Samen oder Wurzeln stets verfügbar zu haben stellte sich schnell als Problem heraus. Beispiel Bucheckern: Schmidt entwickelte mit ihnen eine faszinierende Rezeptidee, doch woher jene Mengen nehmen, um die Kontinuität einer mindestens drei Monate aktuellen Speisekarte zu gewährleisten? Selbst sammeln? Zumindest die Idee eines eigenen Gartens reift zunehmend heran und auch vor dem Haus des Küchenchefs wächst bereits eine Vielzahl an Kräutern, die andernorts für Unkraut gehalten und somit weggespritzt werden. Doch für das Sammeln im Wald ist keine Zeit, also braucht es ein funktionierendes Netzwerk engagierter Mitstreiter zur Versorgung des Küchenteams. Eine ganz besondere Rolle spielt dabei eine Botanikerin. „Frau Peukert berät mich, bringt mir ständig neue Kräuter, Früchte, Pilze und vor allem auch Ideen, was man daraus machen könnte.“ Außerdem sorgt sie dafür, dass sich auf diesem Gebiet eher unerfahrene Koch nicht gleich jedes Kraut in den Mund steckt, um es zu probieren – das Vergnügen könnte kurz, eventuell sogar einmalig sein, denn nicht jede Pflanze in unseren Breiten ist auch essbar.
Gemeinsam mit Frau Peukert entwickelt Schmidt eine Art Plan, „ein Manifest, aber das klingt vielleicht zu hart“, was alles in Zukunft in der Küche der Villa Merton verarbeitet werden darf. Und genau so präzise, wie bei seinen kulinarischen Kompositionen verfährt Schmidt auch hier, denn er will mit seinem Konzept harte Kante zeigen, seinen Stil klar definieren – doch schon heute ist sein Teller unter fünfen mit Sicherheit klar erkennbar. Der Blick in seinen Lagerkeller offenbart, wie weit er mit seiner Arbeit schon gekommen ist. Unreife Holunderbeeren, eingelegt in Waldmeistersud, eingemachte Wildrosenblätter oder ungeöffnete Blüten der Schwarzwurzel, Dillblüten, junge Fichtensprossen in Tannenessig und vieles mehr wartet da auf seine Anwendung. Das Thema Haltbarkeit spielt eine große Rolle, denn die meisten dieser Produkte bekommt man nicht an jeder Ecke. Also experimentiert Schmidt beispielsweise mit dem Einlegen von Früchten in Steinsalz und wirft Traditionen mit Leichtigkeit über Bord: „Wenn Sie eine Schwarzwurzel einfach so lassen, wie sie ist und sie nur behutsam reinigen, dann bleibt sie halt braun – und das sieht echt cool aus!“ Hört man dann noch von einem Felsenblümchensorbet, das auf der Basis von Petersilienwurzel hergestellt wird, dann wird klar: das kann man nicht mehr einfach nur kopieren, denn hinter einer solchen Idee steckt viel Wissen, das Schmidt und sein Team in den letzten Monaten und Jahren angesammelt haben. Er hebt ein Glas mit einer in Öl eingelegten Petersilienwurzel hoch und seine Augen beginnen zu leuchten. „Es gibt noch so vieles zu entdecken!“.
Doch allein kann sich normaler Weise kein Sternekoch mit Zutaten versorgen und so schaute sich Matthias Schmidt in der Nähe der Mainmetropole nach passenden Lieferanten für sein ungewöhnliches Konzept um. Dabei konnte es nicht nur um die bloße Erzeugung guter Lebensmittel gehen, sondern Art und Weise der Herstellung und die richtige „Idee“ spielten ebenso eine bedeutende Rolle. Zudem gehörte auch jene Prise Verrücktheit und Beharrlichkeit dazu, die Schmidt schließlich ganz in der Nähe von Frankfurt fündig werden ließ. Auf dem Dottenfelder Hof Nahe Bad Vilbel arbeiten nämlich ausschließlich Menschen, die man lax als „Überzeugungstäter“ bezeichnen würde, die aber ganz im Ernst ausgesprochen viel von ihrem Handwerk und der ihr zugrunde liegenden Natur verstehen. Und das passt doch gut zum ambitionierten Küchenchef.
Die 1968 aus einer Landkommune mit fünf Familien hervorgegangene Landwirtschaftsgemeinschaft Dottenfelder Hof KG bewirtschaftet heute 160 Hektar Boden nach den strengen Demeter-Richtlinien. Dabei ging es hier von Anfang an nicht um die Einhaltung irgendwelcher Richtlinien oder eine Zertifizierung: „Hier arbeiten viele Menschen, die nicht vom Lande stammen, sondern aufgrund eines persönlichen Anliegens auf den Hof gekommen sind“, sagt Albrecht Denneler, Herr über den Obst- und Gemüseanbau. „Nach Demeter-Kriterien wurde hier schon immer gearbeitet, das war grundlegender Teil des Konzeptes“. Und das ist ganzheitlich ausgerichtet. Saatgut kauft Denneler beispielsweise ausschließlich bei der Saatgutinitiative Bingenheim – und liefert auch selbst dorthin, denn auf dem Hof bleiben die allerbesten Produkte der Vermehrung vorbehalten. „Bei der Auslese wird zum Beispiel jede Möhre in feinste Scheiben geschnitten und verkostet, bevor ihr Saatgut zur Vermehrung freigegeben wird.“ Dass hier Gourmets am Werk sind, hat Schmidt schnell bemerkt. Keine anonyme Dutzendware, sondern perfekt an den heimischen Boden angepasste Züchtungen werden so in jahrzehntelangen Zyklen verbessert, verändert, im Rhythmus der Natur weiterentwickelt. Wobei man eigentlich die Natur machen lässt und diese Ressource behutsam verwaltet.
So ist das bewirtschaftete Land auch kein Privateigentum, sondern gehört der Allgemeinheit. Wer hier arbeitet, kann seinen Kindern nur eines vererben: Wissen. Und das gibt man hier gleich generationenweise weiter. So alternativ das Projekt klingt, so professionell wird es umgesetzt. „Wir sind hier keine Backhippies“, sagt Bäckermeister Falk Sütfels, der hier nach uralter Tradition Brot in einem herrlichen Holzkohleofen bäckt. Das Getreide stammt von den eigenen Feldern, Milch und Eier für die zahlreichen Konditoreiprodukte (für die Sütfels ebenfalls verantwortlich zeichnet) von eigenen Hühnern und Kühen. „Dies ist ein geschlossener Kreislauf. Wir verkaufen nicht Rohprodukte an andere, sondern veredeln diese selbst und behalten so die Kontrolle über jeden einzelnen Arbeitsschritt“. Das Ergebnis spricht für sich und findet nicht nur bei Genießern aus Bad Vilbel oder der nahen Wetterau reißenden Absatz. Auch die Schlange vor dem Verkaufswagen auf dem Frankfurter Erzeugermarkt ist grundsätzlich lang, die Ware heiß begehrt.
Das hat auch mit dem auf dem Hof erzeugten Käse zu tun, der seit März 2011 unter den sorgsamen Händen von Karl Salwik entsteht. Wiederum ist es nur eigene Milch, die Verwendung findet und von fünf helfenden Händen in Joghurt, Quark, Sauermilch, Käse oder eines der vielen weiteren fantasievollen Produkte veredelt wird, die man hier bekommt. Salwik bringt hier seine jahrzehntelange Erfahrung im Käsemachen ein, die er vor allem in der Schweiz sammeln konnte. „Da spielt Käse in der Gesellschaft eine völlig andere Rolle und eine Menge wie jene 1100 Liter, die wir täglich auf dem Hof verarbeiten, fällt da überhaupt nicht auf.“ Doch gerade dieses übersichtliche, präzise Wirtschaften macht nicht nur Kunden, sondern auch die über 100 Menschen glücklich, die hier gemeinsam im Einklang mit der Natur hervorragende Produkte erzeugen. Und so bekommt der Gast in der Villa Merton eben kein Brot aus Hannover, sondern aus dem Holzkohleofen von Falk Sütfels serviert, so reift kein Brie de Meaux, sondern Käse aus Bad Vilbel auf dem Käsewagen und so haben Tomaten, Äpfel, Quitten und was auch immer hier noch gedeiht einen sehr kurzen Weg in die Töpfe und Pfannen des Matthias Schmidt. Und der fühlt sich hier pudelwohl. „Die nehm ich mal mit“, und zack ist die noch unreife Quitte gepflückt. „Aber die ist doch noch nicht reif?!“ – „Ja genau, ich will probieren, wie sie noch grün schmeckt!“. Als nächstes werden Sonnenblumenwurzeln ausgegraben und ihre Eignung für die Küche getestet. Es bleibt spannend? Nein, es wird immer aufregender!
Dottenfelderhof, 61118 Bad Vilbel, Tel. 06101-529620, www.dottenfelderhof.de, info@dottenfelderhof.de
Restaurant Villa Merton, Am Leonhardsbrunn 12, 60487 Frankfurt, Tel. 069-703033, Öffnungszeiten Mo-Fr 12-14 und 18-22 Uhr sowie nach Absprache. villa-merton@koflerkompanie.com