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Die Bergstraße ist für Bewohner der Region Rhein-Main-Neckar mit ihrem milden Klima und romantischen Fachwerkorten insbesondere im Frühjahr ein kleiner Garten Eden. Direkt hinter hutzeligen Häuschen steigen Weinberge empor und der Odenwald beschützt den schmalen Streifen vor kalten Winden und Hagelschauern. Hier werden Menschen im Sternzeichen des Genusses geboren. Etwa Marc Kaltwasser, ein echter Heppenheimer Bub, der – wie könnte es anders sein – seine Nase kaum aus den Töpfen der Großmutter nahm. Der Vater war für die Firma Vorwerk unterwegs, die Mutter handelte mit Immobilien, da war nicht viel Zeit für die feine Küche, doch Oma ahnte wohl schon, welches Talent im kleinen Enkel schlummerte.
Vom Bürostuhl an den Herd
Nach der Schule war der sich nicht darüber im Klaren, wo ihn die Reise des Lebens hinführen sollte und wählte erst mal den Ausbildungs-Mainstream in Form einer Lehre als Bürokaufmann im dualen System. Doch um es mit Udo Lindenberg zu sagen: Das turnte ihn überhaupt nicht an, denn dieser Job bot keine Chancen, sich selbst zu verwirklichen. Also bewarb sich Kaltwasser aus einer Laune heraus für ein Praktikum in der Küche des Frankfurter Hotel Maritim – eine Woche später unterschrieb er den Ausbildungsvertrag und ließ sich nach dem erfolgreichen Abschluss der Lehre fest als Commis in der Küche des eleganten Hotelrestaurants übernehmen. Chef de Cuisine war ein Koch, an den man sich in Frankfurt auch heute noch gern erinnert: Farrokh Okhovat-Esfehani. Von Anfang an war Marcs Traum vom Glück mit der Sternegastronomie verbunden – und er lernte schnell. So schnell, dass ihn seine nächste Station der Erfüllung dieses Traums sehr nah brachte. Kein geringerer als Carmelo Greco fragte per Telefon an, ob er nicht Interesse an einem Job in der Küche der Osteria Enoteca hätte, über der zu dieser Zeit bereits ein Stern leuchtete!
Drei glückliche Jahre
Die Antwort war klar und so folgten drei Jahre, in denen Marc Kaltwasser wesentliche Aspekte seiner heutigen Arbeit kennen und schätzen lernte. „Carmelo hat mir gezeigt, wie man aus drei einfachen Komponenten etwas Herausragendes und dennoch Ehrliches zaubern kann.“ Kochkunst, geprägt von Liebe zum Produkt und zum Kochen, Arbeit auf Augenhöhe mit dem besten italienischen Koch Deutschlands – in der kleinen Küche der Osteria Enoteca war eine Hierarchie schon aus Platzgründen nicht umsetzbar und so arbeitete man kollegial, gemeinsam und mit wichtiger Unterstützung eines weiteren Mentors. Von Roland Brzezinski lernte Marc, diffizile, sensible, völlig neue Aromen zu schmecken und einzusetzen, außerdem führte er ihn in die faszinierende Welt der Weine ein, organisierte spannende Rezepte und kümmerte sich überhaupt um alles, wozu ein voll beschäftigter Koch sonst nur selten Zeit hat – „Herr Brzezinski war für einen Restaurantbetreiber ein herausragender Koch und für mich sehr wichtig!“
Von Margarete bis Riz
Ein tolles Team, das mit der Eröffnung von Carmelo Grecos eigenem Restaurant in Sachsenhausen ein jähes Ende nahm. Nun übernahm Marcs alter Küchenchef Farrokh Okhovat-Esfehani den Herd in der Osteria, leistete großartiges, doch die Gäste blieben aus und schließlich kündigte Brzezinski den beiden Freitagabends – am folgenden Montag war die Osteria Enoteca Geschichte. Wo andere vielleicht direkt irgendwo anheuern, nur um einen Job zu haben, schaute sich Marc Kaltwasser in Ruhe um und absolvierte einige Praktika, um wiederum herauszufinden, wo die Reise hingeht. So stand er sehr kurz in der Küche des Silk, ein paar Wochen hielt es ihn neben Martin Göschel im Tiger-Restaurant –dann eröffnete das Restaurant Margarete. Sein guter Freund Jan Hoffmann (siehe Genussmagazin 02-16) hatte gerade im Chalet 18 gekündigt und fragte bei Marc an, ob er mit ihm gemeinsam in der Küche des neuen Lokals arbeiten wolle. Gesagt, getan: 6 Monate war Kaltwasser nun Chef de Partie neben Jan Hoffmann, und als Philipp Degenhardt auf Empfehlung von Roland Brzezinski anrief und ein neues Team für sein Restaurant Riz suchte, war klar, dass es die beiden nur im Doppelpack gab. Allerdings konnte es nur einen Küchenchef geben und so arrangierten sich die beiden: Jan war Chef, Marc Souschef, trotz heftiger Auseinandersetzungen funktionierte das Tandem über 2 Jahre ausgezeichnet und die Freundschaft der beiden Köche wurde nur noch fester. „Ich glaube, ich habe von Jan am meisten gelernt“, sagt Marc Kaltwasser heute, doch auch die beste Zeit hat einmal ein Ende: Stehen Rothenberger suchte einen neuen Küchenchef für das Seven Swans und gleichzeitig fragte das Zwingenberger Ehepaar Preikschat bei Marc an, ob er nicht die Küche ihres kleinen Restaurant Rotox im Herzen der Altstadt übernehmen wolle. Was hielt ihn noch im Riz?
Zurück in die Zukunft
Im Rotox stand französisch geprägte Küche auf der Agenda, schließlich hatten die Preikschats ein kleines Haus in Südfrankreich und versuchten außerdem, mit ihrem kleinen Schaulustraum Gäste anzulocken. Doch französische Kochkunst und Kunst der Fluxus-Ära gehören nicht gerade zu den bevorzugten kulturellen Vergnügungen der Zwingenberger und so dauerte es nicht lange, da stand trotz der hervorragenden Arbeit von Marc Kaltwasser und der Umstellung auf regionale Küche die Schließung an. Nun stand Marc vor der wichtigsten Entscheidung seiner Laufbahn. Das Restaurant suchte einen Nachfolger und wer konnte das sein? Natürlich er selbst! Über die Risiken eines solchen Schrittes muss an dieser Stelle nicht weiter informiert werden, doch seine Eltern standen wie eine Wand hinter ihm, unterstützten ihn nicht nur moralisch, sondern auch tatkräftig und falls das Projekt schiefgehen würde, bliebe ja immer noch der Weg zurück in die Mainmetropole.
Er macht sein Ding
Es ging aber nichts schief. Zunächst kamen vermehrt Gäste aus Darmstadt, dann aus Frankfurt, um die innovative und dennoch völlig den Produkten der Region verschriebene Küche in Kaltwassers Wohnzimmer kennen und lieben zu lernen. Dann besuchten ihn die ersten Zwingenberger und heute ist man im Ort stolz darauf, einen solchen Ausnahmekoch bei sich zu wissen, der bei allem Fachwissen immer noch wertschätzt, was ein echter Bergsträßer gerne isst. Ein kleiner Garten liefert ihm Kräuter, die man nirgends kaufen, aber hervorragend in der Küche verwenden kann, ansonsten findet er im Umland fast alles, was er für seine ungewöhnlichen, fantasievollen Ideen braucht. Seine Freundin ist von Offenbach an die Bergstraße umgezogen und unterstützt ihn nach ihrem Job ebenfalls, während unserem Gespräch bepflanzen die Eltern gerade die Blumenkästen. „Wir fahren nur ganz selten in Urlaub und es macht uns Spaß, hier mit anzupacken“. Familienglück, das man schmecken kann.