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Zu Besuch beim Küchenchef
Besuch bei: Michael Stöckl
Foto: Dirk Ostermeier
Dirk Ostermeier
In der Landsteiner Mühle muss sich niemand Äpfel von griesgrämigen Damen durch die Tür reichen lassen, denn Michael Stöckl hat wahrlich genügend davon – die Besten warten hier in vergorener Form auf Genießer, die sich von Deutschlands erstem Apfelweinsommelier beraten lassen möchten!

Es ist beinahe wie im Märchen: Wo sich das ansonsten eher enge Weiltal ein wenig öffnet, wirkt die Landsteiner Mühle wie ein Relikt aus alten Zeiten. Kein Wunder, haben doch fleißige Hände das Gebäude bereits im 17. Jahrhundert erbaut, nachdem umherziehende Soldatenhorden im 30jährigen Krieg die ursprüngliche Mühle in Schutt und Asche gelegt hatten. Auch die Gasträume verströmen jene entspannte Atmosphäre bodenständiger Gemütlichkeit, die insbesondere gestresste Metropolenbewohner zu schätzen wissen. Dabei hat Familie Stöckl mit geschickter Hand Rustikales in Romantisches, Funktionales in Gemütliches gewandelt. Nichts wirkt beliebig, das Arrangement stimmt und man wähnt sich als Gast tatsächlich wie in der „guten, alten Zeit“ angekommen, die so gut ja eigentlich nicht war.


Michael Stöckl hat die Gastronomie quasi mit der Muttermilch aufgesogen, denn schon der in Kronberg ansässige Großvater führte gleich zwei Gastronomien und – wen wundert’s –  kelterte nebenbei auch reichlich Apfelwein. So war das Leben als Gastwirt auch für Stöckls Mutter eine absolute Selbstverständlichkeit. Klar, dass sie sich als Partner fürs Leben ebenfalls einen suchte, doch der stammte aus dem fernen Tirol, wo sich die beiden kennen und lieben lernten. Also hieß es zunächst, den Vordertaunus gegen die Alpen einzutauschen. Man arbeitete getrennt, sah sich dementsprechend selten und das macht bekanntermaßen nicht gerade glücklich. So ging es schließlich wieder in den Taunus, zunächst nach Merzhausen, wo man gemeinsam eine Gastwirtschaft pachtete, doch die Lust auf ein eigenes Projekt, das eigene „Ding“ fand nach vier Jahren in der Landsteiner Mühle endlich das passende Objekt.


Die vorherigen Eigentümer hatten die Mühle lieblos auf Gewinnmaximierung getrimmt und servierten somit alles, was das Tempo der Zubereitung beschleunigt – über die damals üblichen kulinarischen Darbietungen breiten die Stöckls lieber rücksichtsvoll den Mantel des Schweigens. Endlich in einer echten neuen Heimat angekommen, machten sich die Stöckls munter an die Arbeit, immer dabei auch der kleine Michael, der bereits mit 11 Jahren Schoppen ausschenkte und seinen Eltern mit Leidenschaft zur Hand ging. Schon zu dieser Zeit kam in die Küche der Landsteiner Mühle nur das, was die Felder, Wiesen und Höfe der Region hervorbrachten. Regionalität ist hier keine Modeerscheinung, sondern war schon immer Grundvoraussetzung für die hier zubereiteten Gerichte.


Michael wuchs heran, und während der Bruder am Herd stand, zog es den jungen Apfelweinliebhaber in die Welt. Nun ja, weit hat er es damals nicht geschafft, denn sein erster Posten auf dem Weg zum geprüften Restaurantfachmann und Hotelbetriebswirt war das Restaurant Schwarzer Hahn im Hotel Deidesheimer Hof, also jenes legendäre Lokal, in dem Helmut Kohl mit Vorliebe seine Staatsgäste bewirten ließ. Hier lernte er auch Jürgen Fendt kennen, der heute im Baiersbronner Hotel Bareiss als Sommelier arbeitet, bevor es Stöckl wieder in Richtung Taunus zog – Schlosshotel Kronberg und die Scheuer in Hofheim waren die folgenden Stationen, bevor er ein Volontariat in der Schlosskellerei Affaltrach absolvierte. Während dieser Zeit veranstaltete er gemeinsam mit vielen Winzern, die er unterdessen kennen und schätzen gelernt hatte, regelmäßig kulinarische Abende. Schließlich setzte er seiner Ausbildung mit dem Ablegen der Prüfung zum IHK-geprüften Sommelier das Krönchen auf und kehrte in die heimische Mühle zurück.


Um den regionalen Fokus der Landsteiner Mühle auch seinen Gästen näher zu bringen und zusätzlich neue Kundschaft anzulocken, braucht es gute Marketingkonzepte. Damals waren Kochshows im Fernsehen noch eine exotische Veranstaltung, doch mit der Gründung von „Hessen a la Carte“ machte die hessische Gastronomie einen großen Sprung nach vorne. Familie Stöckl war hier federführend bei Konzept und Realisierung und gemeinsam mit dem engagierten Vorkämpfer für den Apfelwein Jörg Stier wurde das Projekt als erste Gastro-Kooperation in Deutschland ungemein erfolgreich umgesetzt – die Landsteiner Mühle war Mitglied Nummer 2. Jörg Stier brachte Stöckl auch auf die Idee, Speisen und Apfelwein miteinander zu verbinden – und zwar weitaus kreativer, als dies in einer typischen Schoppenwirtschaft üblich war.


Während „echtem“ Wein der Ruf eines edlen und hochwertigen Kulturgetränkes anhaftete, taugte Apfelwein in den Augen der meisten Genießer damals höchstens als Begleiter zu rustikalen Speisen oder als sommerliches Erfrischungsgetränk. Netzwerkerei war also angesagt und so tauchte er in die Apfelweinszene ein, lernte viele Kelterer und schließlich Andreas Schneider kennen, einen der innovativsten Kelterer Deutschlands. Apfelwein gab es natürlich schon vorher in für diese Zeit ungewöhnlicher Vielfalt auf der Karte der Landsteiner Mühle – Stöckl begann nun mit dem systematischen Aufbau einer eigenen Apfelweinkarte. Heute werden hier etwa 45 verschiedene Varianten aus aller Welt angeboten – bei Traubenwein sind es weniger. Um Äpfelwein, wie er eigentlich korrekt heißen müsste, aus der Bembelnische heraus zu führen, engagierte sich Stöckl nachhaltig für bessere Qualität, für eine entsprechende Präsentation – und sorgte 2002 während einer Tagung im Annelsbacher Apfelweinlokal Dornröschen für einen Eklat. Die Idee, Apfelwein fortan nicht im Bembel auszuschenken, sondern vielmehr aus eleganten Flaschen in Weingläsern zu servieren (wofür es dann ja auch keinen Deckel mehr braucht) löste bei vielen Traditionalisten pures Entsetzen aus. Derart radikale Statements rufen die Medien auf den Plan, und so wusste bald nicht nur das ganze Hessenland, was der junge Wilde aus dem Weiltal vorhatte. In diesem Zusammenhang wurde natürlich immer wieder Stöckls Ausbildung zum Sommelier genannt, ein kreativer Redakteur „verlieh“ ihm in einer Berichterstattung einfach den Titel „Apfelweinsommelier“ und diesen ließ sich Michael Stöckl auch nicht mehr nehmen. Er ist seitdem Deutschlands erster Vertreter dieser Berufsgattung und hofft, auf diese Weise auch die entsprechenden Ausbildungsinstitutionen zum kreativen Nachdenken anzuregen – eine offizielle Prüfung zum Thema Apfelwein gibt es nämlich immer noch nicht. 


2006 schließlich räumte Bruder Alexander den Platz am Herd, doch den Nachfolger hatte man in bester Familienunternehmermanier bereits parat: Mathias Reiter, der im Betrieb ausgebildet wurde und dann die Position des Souschefs innehatte, übernahm Anfang 2007 den ihm bestens vertrauten Posten und zeichnet seitdem für die Qualität der Küche verantwortlich. „Es gibt viele Gäste, die wegen eines ganz bestimmten Rezeptes zu uns kommen. Also müssen diese beliebten Klassiker auch auf der Karte bleiben“, so der junge, ruhige Küchenchef. Das Hutzelreh beispielsweise steht das ganze Jahr hoch im Kurs und wer sich einmal selbst an dem Rezept versuchen möchte, der findet es übrigens in diesem Artikel. Im gleichen Jahr erfanden die Stöckls den Begriff Apfelweinbistrorant, um noch deutlicher auf dieses Alleinstellungsmerkmal hinzuweisen. Die Möglichkeit, auch kleine Portionen zu bestellen, ermöglicht es den Gästen seitdem auch, sich problemlos durch die Karte zu futtern. Der Gipfel ist hier das neu entwickelte Probierma(h)l, eine von verschiedenen Apfelweinen begleitete Speisenfolge, die man andernorts wohl „Amuse bouche Menü“ nennen würde.


In den folgenden Jahren fokussierte Michael Stöckl das Thema Apfelwein immer weiter, gründete 2005 mit sieben Wirten die Gemeinschaft der Hessischen Wirtshauskelterer und musste natürlich auch selbst ran: Sämtliche Mitglieder machen eigenen Schoppen und da konnte auch ein Stöckl nicht zurück. Die Kronberger Wiesen mit ihren zahlreichen Apfelbäumen waren ja noch immer im Familienbesitz, doch eine eigene Kelteranlage gab es nicht und konnte auch nicht in der Mühle eingebaut werden. Somit musste Stöckl seinen Apfelwein bei Kollegen ausbauen, was denn doch des Guten zuviel wurde. Jetzt veröffentlicht er ganz besondere Apfelweine anderer Mitglieder als Edition „Apfelweinsommelier Michael Stöckl“. Er ist an der Entstehung jedes einzelnen Weines beteiligt und bringt auch direkt Ideen ein, der Aufwand eigener Kelterei entfällt aber.


Es wundert nicht, dass Stöckl so wenig Zeit hat, denn gemeinsam mit Andreas Schneider organisierte er in diesem Jahr bereits zum vierten Mal die Jahrgangsverkostung „Apfelwein im Römer“ und brachte so über 40 Erzeugerbetriebe aus aller Welt zusammen und an die durstige Kundschaft. Das ist natürlich zusätzliche Arbeit, doch die macht ihm offensichtlich sehr viel Spaß. Sein hartnäckiges Engagement für das Nationalgetränk der Hessen steckt offenbar auch Politiker an: Als Stöckl der Frankfurter Oberbürgermeisterin das Konzept der AiR erläuterte, blieb die immer ernst, konzentriert, begrüßte vieles, korrigierte anderes und stellte gegen Ende fest, dass diese Präsentation eine tolle Idee sei, aber nur unter einer Bedingung durchgeführt werden könne – wenn sie die Schirmherrschaft übernehmen dürfe! Die Apfelweinmesse im spanischen Gijon, die einst Inspiration für die Frankfurter Veranstaltung war, findet unterdessen nicht mehr statt, die Chancen stehen also gut, das weltweit auf immer größeres Interesse stoßende Thema Apfelwein endgültig in die Mainmetropole zu holen.


Von all dem merkt man in der Landsteiner Mühle nicht viel, denn hier geht es zumindest nach außen beschaulich zu. Die selbst gestellte Aufgabe, dass hier alles frisch zubereitet und somit keinerlei Tütenware verwendet wird, bringt nicht nur geschmacklich viele Vorteile: Auch Allergiker können so ganz genau informiert werden, was im Essen drin ist. Selbst die Kräuter baut Mutter Stöckl selbst an, und so wundert es nicht, dass man hier jeden Lieferanten noch persönlich kennt.


So ist auch Lucia Thomé eine gute Bekannte. Die ehemalige Straßenbahnfahrerin heiratete ihren Mann Gunther bereits 1993. Seitdem ist Schluss mit öffentlichen Verkehrsmitteln – dafür halten die beiden auf dem hoch über der Lahn gelegenen Hofgut Schwartenberg nicht nur zahlreiche Hühner, sondern auch Poularden, Enten und rechtzeitig zur Weihnachtszeit etwa 250 Gänse auf Trab. Letztere dürfen auch draußen herumlaufen, doch fragt man die Hausherrin, warum denn nicht alles Geflügel im Grünen herumtollen darf, hebt sie schnell die Hand und beginnt mit der Aufzählung: „Der Fuchs, der Marder, der Greifvogel, der ...“ – über 30 kapitale Gänse hat sich der schlaue Reinecke Fuchs im letzten Jahr geholt. Vom Rest gehen über ein Drittel direkt in die Landsteiner Mühle, denn Weihnachtsgans ist bei den Gästen sehr beliebt. Hühner bezieht Stöckl hier ebenfalls und auch die Eier, von denen annähernd 5000 Stück pro Tag sortiert und verpackt werden müssen, kauft er gern. Hier haben die Hühner in einer riesigen Halle reichlich Platz zum umherflattern, bekommen gentechnikfreies Futter und das Federvieh macht überhaupt einen sehr vitalen und umgänglichen Eindruck. Thomas Strzeulla kennt die Tiere zwar nicht alle beim Vornamen, doch mit bewundernswertem Gleichmut sortiert er die in schöner Regelmäßigkeit aus einer Luke rollenden Eier und macht sie verkaufsfähig. Enten schluffen gemütlich über den Hof, denn im Schatten der Häuser lebt es sich halbwegs sicher, Katzen laufen vorbei und irgendwie scheint hier die Zeit noch stiller zu stehen als im Weiltal. Das hat sich vor allem unter Familien herumgesprochen, denn die zwei gut ausgestatteten Ferienwohnungen für jeweils vier Personen sind immer gut gebucht. Ob es da den üppig ausgestatteten Freizeitbereich mit Fitnessparcours und vielem mehr wirklich braucht? Die Konkurrenz schläft jedenfalls nicht, doch der nahe Fluss, die schönen Wälder, zahlreiche Schlösser und Burgen und natürlich der waschechte Urlaub auf dem Bauernhof (es gibt auch Schweine und selbstredend einen sehr sympathischen Hund) sind ein gutes Faustpfand für die Zukunft. 


Und was plant Michael Stöckl? Da steht zum Beispiel die Sanierung der Kirchenruine Landstein an. Hier werden nach dem Ende der Bauarbeiten Kultur und Apfelwein eine innige Verbindung eingehen. Außerdem soll das Netzwerk „Apfelwein Weltweit“ ausgebaut und Frankfurt die neue Zentrale der Bewegung werden und die „Apfelwein im Römer“ wird ja auch immer größer. Es bleibt also spannend, doch besucht man die lauschige Mühle, so ist alles vergessen. Der Bach rauscht, der Apfelwein leuchtet im Glas, das Essen schmeckt und die Welt wird irgendwie ein wenig heiler.

Mehr Infos und Buchung hier.
Weitere Informationen hier
 
29. Oktober 2012
Bastian Fiebig
 
 
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