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Haxen-Reichert

Thomas Reichert: „Keine Zukunft an diesem Standort“

Der Höchster Traditionsbetrieb schließt Ende des Monats nach 25 Jahren sein Ladengeschäft in der Königsteiner Straße. Im Interview spricht Inhaber Thomas Reichert über die Gründe für die Schließung und die Zukunft des Familienbetriebs.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Reichert, seit der Gründung der ersten Metzgerei Reichert durch Ihren Großvater 1935, damals in der Ludwigshafener Straße, steht Ihr Familienname in Höchst für Fleisch und Wurstwaren. Zwischenzeitlich gehörten neben zwei Gastronomien gleichzeitig fünf Ladengeschäfte zum Haxen-Imperium mit Filialen in Sindlingen und Schwalbach. Nun haben Sie die Schließung des letzten verbliebenen Ladengeschäfts in der Höchster Innenstadt bekanntgegeben. Ab 21. Januar bleibt der Laden in der Königsteiner Straße geschlossen. Wie kam es dazu?
Thomas Reichert: Ich war an diesem Standort nun 25 Jahre. Die Metzgerei Reichert selbst gibt es seit über 80 Jahren. Der Grund, warum es unseren Familienbetrieb schon so lange gibt, ist, weil wir vor dem Hintergrund des sich stetig ändernden Zeitgeistes und der sich stets verändernden Bedingungen immer wieder Lösungen gefunden haben, die den Betrieb weitergetragen haben. Jetzt bin ich an so einem Punkt angekommen, an dem ich das Gefühl habe, dass unser Geschäftsmodell, das wir gute zwanzig Jahre erfolgreich in der Königsteiner Straße betrieben haben, an diesem Standort keine Zukunft mehr hat.

Woran liegt das?
Es gibt im Stadtteil einen soziodemografischen Wandel der dazu führt, dass die Leistung, die wir anbieten, nicht mehr so stark abgefragt wird, wie wir das bis vor gut fünf Jahren erlebt haben. Das ist einfach eine Feststellung, aus der wir betriebswirtschaftliche Konsequenzen ziehen müssen. Das Szenario betrifft grundsätzlich auch jedes andere Geschäftsmodell, das angesichts sich verändernder Marktbedingungen hinterfragt werden muss. Das kennt man auch in der Königsteiner Straße. Die war schon die Brillegass', sie war schon die Schlabbegass’, die Bäckergass’. Der Schwerpunkt hat sich über die Jahre immer wieder verschoben.




Nach 25 Jahren schließt die Filiale in der Königsteiner Straße am 21. Januar. © Haxen-Reichert

Das heißt, Sie ziehen die unternehmerische Handbremse, bevor es in den Schleudergang geht?
Genau. Bevor ich pleite bin, schließe ich lieber jetzt den Laden. Es ist so, dass die Umsätze an diesem Standort zunächst stagniert und seit geraumer Zeit schleichend zurückgegangen sind. Wir haben uns zwar dagegengestemmt, indem wir in unserem 1952 eröffneten Stammhaus in der Brüningstraße mit diversen Veranstaltungsformaten und Caterings einen Namen gemacht und ein tragendes wirtschaftliches Standbein geschaffen haben. Nach den Ereignissen im Vergangenen Jahr, ist aber natürlich auch dort das Geschäft eingebrochen.

Mit den Ereignissen im vergangenen Jahr meinen Sie die ungewollte, bundesweite Aufmerksamkeit, nachdem im Rahmen einer Routinekontrolle Ihres Betriebes bei rund 800 Kilogramm Dry Aged Rindfleisch ein Schädlingsbefall festgestellt wurde.
Richtig. Das hat natürlich keine gute Presse gegeben. Das ist auch verständlich. Es waren zwar zu keinem Zeitpunkt Menschen akut gefährdet, aber das ist einfach eklig. Letztlich hat mich das Ganze auch persönlich sehr betroffen gemacht hat. Schließlich rüttelt so ein Ereignis am beruflichen Selbstverständnis. Das hat bei mir zu einem Umdenken darüber geführt, was in einem Betrieb wie unserem und der Vielzahl an geltenden Auflagen überhaupt noch machbar ist – oder ob es vielleicht einfach besser ist, an dieser Stelle einen Schnitt zu machen, was den stationären Einzelhandel an diesem Standort angeht. Fünfzig Prozent des Geschäftes waren sowieso schon immer Catering, Partyservice und Events. Also lag der Gedanke nahe, sich auf diesen Teil des Betriebs zu konzentrieren und das Thema stationären Einzelhandel vorerst bleiben zu lassen.

Wäre es also in Anbetracht des erwähnten Wandels auch ohne den Vorfall im vergangenen Jahr zu der Entscheidung gekommen, das Ladengeschafft in der Königsteiner Straße zu schließen?
Das hat den Entscheidungsprozess natürlich beschleunigt. Das ist klar. Aber ja, die Standort-Frage stelle ich mir schon seit geraumer Zeit. Allerdings ist das durch Corona im Grunde noch mal vertagt worden, weil diese Zeit durch die Schließung der Gastronomie wie ein warmer Regen für die Fleischereien war. Wir hatten im Laden gut dreißig Prozent mehr Umsatz. Dieser Schub ist vorbei. Und nun kommen die Energiekrise und damit Preissteigerungen für Gas und Strom um mehr als das Doppelte sowie steigende Kosten für Wareneinsatz, Miete und Personal hinzu. Das spielt nicht nur in unserem Fall eine wichtige Rolle.

Sie sind seit 2005 Obermeister der Fleischerinnung Frankfurt-Darmstadt-Offenbach, kennen die Branche also wie Ihre Westentasche. Wie steht es um die Zukunft der Metzgereien?
Meiner Einschätzung nach sieht es nicht gut aus. Ich gehe davon aus, dass das Geschäftsmodell Metzgerei, wie wir sie kenne, in dieser Form in einer Generation nicht mehr da sein wird. Beispielsweise gibt es derzeit im Innungsbezirk Frankfurt-Darmstadt-Offenbach noch 64 Mitgliedsbetriebe. Vergangenen September wurde ich bei der Jahreshauptversammlung nach meiner Einschätzung gefragt, wie viele Betriebe wir im laufenden Geschäftsjahr verlieren werden. Meine Antwort war zehn – und noch vor Jahresende waren es von den 64 bereits fünf weniger. Dieser Prozess wird durch die aktuelle wirtschaftliche Situation noch an Geschwindigkeit zunehmen. Was allerdings nicht heißt, dass es keine fleischverarbeitenden und -verkaufenden Betriebe mehr geben wird. Nur der Markt und die Nachfrage ändern sich. Und das gar nicht unbedingt, weil weniger Fleisch gegessen wird, sondern weil diejenigen, die Fleisch konsumieren, zunehmend andere Bezugsquellen haben. Das Einkaufsverhalten der Menschen verändert sich einfach.

Und wie sieht die Zukunft für den Haxen-Reichert aus?
Wir werden uns zukünftig mehr auf die anderen fünfzig Prozent unseres Betriebs und das Stammhaus in der Brüningstraße konzentrieren, auf Veranstaltungen, Caterings und Partyservice. Im Zuge dessen werden wir uns in puncto Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um zwei Drittel verkleinern, so dass der Betrieb zukünftig von vier Festangestellten getragen wird. Ich sagen das ohne Schaum vorm Mund, aber steigende Kosten bei rückläufigem Markt sowie die immer neuen Auflagen und damit verbundene Modernisierungskosten im stationären Einzelhandel, das alles sind Rahmenbedingungen unter denen möchte ich nicht mehr arbeiten. Natürlich habe ich in den letzten Monaten viel über all das nachgedacht. Schließlich ist es kein einfacher Schritt, so einen Laden nach 25 Jahren zu schließen. Nichtsdestotrotz ist die Stimmung gut. Meine Credo ist, wer noch Kraft zum Klagen hat, könnte auch was tun, und an genau diesem Punkt befinde ich mich gerade.

Haxen-Reichert, Höchst, Königsteiner Straße 26, Tel. 300 899 30, Mo-Fr 8-18, Sa 7-14 Uhr, So Ruhetag (noch bis 21.1.2023)





Thomas Reichert ist Träger der Verdienst- und Ehrennadel des Fleischerverbandes Hessen. © Haxen-Reichert
 
Fotogalerie:
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12. Januar 2023, 12.43 Uhr
srs
 
 
 
 
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