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Und die Autoschilder verraten dabei, welch weiten Weg mancher Gast da in Kauf genommen hat, um hier schließlich entspannt in den Sitz zu sinken und sein Menü zu genießen. Küchenchefs in zentraler Lage einer Großstadt haben es bedeutend einfacher, denn hier gibt es zahlreiche Laufkundschaft, doch von der kann Andre Großfeld nur träumen. Er zieht seine Gäste ausschließlich über eines magnetisch an: seine Kochkunst. Und die hat ihm wiederum schon so viele Auszeichnungen und gute Platzierungen in den einschlägigen Restaurantführern dieser Republik eingebracht, dass Dorheim auf einmal gar nicht mehr so weit ab vom Schuss zu liegen scheint – hier residiert ja der Sterne- und Haubenkoch Großfeld, bekannt aus RHEIN-MAIN GEHT AUS!, Varta-, Michelin und Wieauchimmer-Führer!
Lernt man den sympathischen und bodenständigen Genussmenschen näher kennen, so erschließt sich schnell, weshalb er lieber im verträumten Dorf als im Stadtzentrum der Mainmetropole aufkocht. Hier kann er ganz in Ruhe sein Konzept entwickeln und verfeinern, hat um sich herum „seine“ Lieblingsproduzenten und kann somit aus der reichen Region Wetterau/Vogelsberg kulinarischen Nektar saugen. Sein Credo ist ganz einfach: Man sollte jeden Erzeuger persönlich kennen und genau wissen, wie das jeweilige Produkt entstanden ist, das anschließend in der winzig anmutenden Küche verarbeitet wird. Gerade mal vier Personen arbeiten hier auf engstem Raum wie ein Präzisionsuhrwerk und versorgen die Gäste mit dem Stoff, aus dem ihre Träume sind: Gerichte, die ihren regionalen Bezug nicht verleugnen, sondern die im Gegenteil vom Ort ihrer Entstehung aus in die Welt verweisen. So bedeutet Großfelds tiefe Verwurzelung in seiner neuen Heimat nicht etwa, dass man auf der Speisekarte Schnitzelvariationen auf Sterneniveau findet, sondern bringt Rezeptideen hervor, die beispielsweise Maibock aus dem Vogelsberg auf ein internationales kulinarisches Niveau erheben.
So urhessisch Großfeld rein optisch übrigens auch wirken mag (und das ist hier als Kompliment gemeint) – er stammt ursprünglich aus dem Münsterland. Dort bewies sich bereits vor Jahrzehnten der pädagogische Wert von Schulpraktika: Der kleine André, unterdessen nach Oberbayern übergesiedelt, verbrachte in der 8. Klasse ein paar Wochen in der Küche des ortsansässigen Wirtshauses und wusste fortan, wo die Reise des Lebens hingehen sollte – in die Küchen dieser Welt! Ausgangspunkt hierfür war die Ausbildung bei einem der seinerzeit führenden deutschen Köche: Alfons Schuhbeck. Im idyllischen Waging am See brachte er Großfeld das Kochen bei. Nach erfolgreichem Abschluss begann der junge Kochkünstler weit entfernt von seinem Ausbildungsplatz seine Laufbahn – Hamburg war mit Stationen bei Michael Wollenberg und Josef Viehhauser für 10 Jahre Heimat, bevor ihn Schuhbeck im Jahr 2000 ins Check-Inn nach Egelsbach rief. Und wie man es nicht nur aus beliebten Fabeln kennt, so spielte auch hier die Liebe eine wichtige Rolle bei der Wahl des Standortes, denn Lebensgefährtin Stifanka Kurbasa machte für Großfeld Hessen gleich noch viel attraktiver. Dennoch sollte noch ein Traum in Erfüllung gehen: Ganze vier Jahre musste er warten, um endlich ein Engagement am Herd von Hans Haas zu bekommen – in der Restaurantlegende Tantris arbeiteten lange Zeit nur österreichische Fachkräfte, doch Großfelds Geduld wurde 2002 endlich belohnt.
Lange hielt es ihn jedoch nicht in der bayrischen Landeshauptstadt, denn die Zusammenarbeit mit dem ungemein kreativen Volker Drkosch im Frankfurter Restaurant Brick lockte ihn 2004 wieder an den Main. Nach nur sechs Monaten war mit der Arbeit als Souschef allerdings endgültig Schluss – 2005 war es höchste Zeit für ein eigenes Konzept! Wer so viele spannende und inspirierende Stationen durchlaufen hat, der hat auf dem Teller einiges zu erzählen. Doch anstelle fremder Handschrift kochte Großfeld von Anbeginn einen ganz authentischen Stil, der nicht die Summe aller Teile, sondern etwas ganz Neues darstellte. Vor fünf Jahren war seine Interpretation regionaler Rezepte noch völliges Neuland, das der neugierige Koch begeistert beackerte. Mit reichem Ertrag, denn schnell entdeckten nicht nur die Feinschmecker, sondern auch Journalisten den lauschigen Platz für Genießer im hintersten Eck eines kleinen Dorfes.
Seit zwei Jahren bezieht Großfeld so irgend möglich sämtliche Zutaten aus der Region. Keine weiten Wege oder anonyme Herkunft soll seine kreative Leistung verfälschen, gleichzeitig spielt der Gedanke der Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle in seiner Planung. Erdbeeren im Winter oder Wild aus Polen? Geht gar nicht! Ums Eck schießt der Jäger Schwarz-, Dam- oder Rotwild und angeblich laufen dem ab und an sogar Mufflons vor die Flinte! Drei lange Jahre hat Großfeld suchen müssen, um seinen Bedarf vor Ort und nicht bei Großhändlern oder Versendern decken zu können. Dabei bieten die durchaus gute Ware für kleines Geld: „Wer kauft denn heute schon deutsches Fleisch in der Gastronomie? Das kostet glatt das doppelte und reifen lassen muss man es meist auch noch“, sagt der Küchenchef – aber es schmeckt halt richtig gut und sorgt für die Erhaltung und Entwicklung einer regionalen Genusskultur. Bio ist da natürlich ebenfalls selbstverständlich, wenn man auch manchmal Ausnahmen machen muss – es ist immer noch zu wenig Ware in Spitzenqualität am Markt zu bekommen.
Eine Adresse, die Großfeld regelmäßig besucht, um sich mit hervorragenden Produkten einzudecken, ist der Obsthof am Steinberg. Hier hat Andreas Schneider nichts weniger als Apfelweingeschichte geschrieben, denn wo seine Eltern seit 1965 begannen, Obst anzubauen und dieses zunächst direkt vermarkteten, erzeugt der leidenschaftliche Kelterer heute 50 sortenreine Apfelweine in Bio-Qualität, die weltweit für Aufsehen sorgen. „Wir laufen gerade durch mein Kinderzimmer“ – Schneider wuchs unter Apfelbäumen auf, war fast immer draußen unter freiem Himmel unterwegs und als er mit 18 Jahren die Freude am Alkohol entdeckte, war der unterdessen versuchsweise gekelterte „Süße“ ein willkommenes Experimentierfeld für Andreas und seinen Bruder. Die Schule wurde mit der 10. Klasse an den Nagel gehängt, dann die Ausbildung in Sachen Obstbau absolviert und der Weg zum „Apfelflüsterer“ war frei. Natürlich musste auch hier der Generationenkonflikt ausgefochten werden – Vater Schneider war skeptisch, doch schließlich übergab er 1993 den Betrieb an seinen Sohn. Die in über 25 Jahren prächtig gewachsenen Bäume hatte er nur sehr zurückhaltend mit Spritzmitteln behandelt, so dass der Umstieg auf ökologische Landwirtschaft zügig vonstatten ging – nur sechs Monate brauchte Andreas Schneider für diesen Schritt. „Ich stand absolut bei Null, hatte gerade mal eine Fortbildung gemacht. Die Erdbeeren waren da eine willkommene Einkommensquelle, um Verluste bei der Apfelernte auszugleichen“. Heute ist der Obsthof für seinen Sortenreichtum auch bei den kleinen Feldfrüchten bekannt, die damals jedes Jahr das so wichtige Geld in die Kasse spülten, mit dem Schneider die Umstellung auf Bioanbau, den Ausbau des Betriebes und die Investitionen in moderne Kelteranlagen finanzieren konnte. Mit 2010 blickt er unterdessen auf Jahrgang Nummer 18 zurück, und die Anzahl der Flaschen auf seinem Verkostungstisch spricht Bände. Da kann sich auch ein Großfeld kaum zurückhalten, und so schlürfen wir uns beim Fototermin genüsslich durch Ananasrainette, Boskoop und viele weitere Sorten, die Schneider durch seine Arbeit vor dem Aussterben bewahrt hat. Die gemütliche Schoppenwirtschaft auf dem Hof ist immer gut besucht und mittlerweile eine weitere regelmäßige Einnahmequelle. Sechs festangestellte Mitarbeiter sind hier beschäftigt, hinzu kommen Saisonkräfte für die Ernte. Doch Schneider hat noch mehr Visionen. Beispielsweise die Messe „Apfelwein im Römer“, die er gemeinsam mit Michael Stöckl schon nach drei Jahren zur weltweit größten Messe ihrer Art gemacht hat. Oder die Verbindung von Apfelwein und Sterneküche, die er gemeinsam mit namhaften Küchenchefs weiterentwickelt. Das Thema ist ungemein virulent und Großfeld nicht der einzige, der Apfelweine auf seiner Karte listet.
Der wiederum hat zusammen mit einem Geschäftspartner eine Herde von annähernd 600 Schafen gekauft, die er ganz traditionell von einem Schäfer durch die Wetterau treiben lässt. Die Produktlinie, vom puren Fleisch bis zu Lammbratwurst, -salami oder- schinken ist schon geplant und soll in naher Zukunft vermarktet werden. Natürlich gibt es all diese köstlichen Dinge dann auch im „Gastraum der Sinne“ im beschaulichen Dorheim zu kosten. Sollte der Bürgermeister da nicht mal über ein Denkmal nachdenken? Nur nicht übertreiben, denn wenn sich einer hier ein Denkmal setzt, dann Großfeld selbst – zwar ein vergängliches, doch was man hier erschmeckt hat, hält oft weitaus länger, als für teures Geld in die Wohnung gestellter Plunder. Hier ist jeder Euro gut angelegt. In eine Kultur, die Menschen verbindet und zudem Heimat kulinarisch definiert.